Vaterschaftsurlaub und Kündigungsfrist: Berechnungsproblematik (Art. 335c OR)
Der neue Artikel 335c Abs.3 im Obligationenrecht regelt die Verlängerung der Kündigungsfrist bei Vaterschaftsurlaub. Es gibt jedoch ungeklärte Fragen zur Berechnung.
Der genaue Wortlaut von Art. 335c Abs. 3 OR ist:
"Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer vor Ende des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf den Urlaub des andern Elternteils nach Artikel 329g, so wird die Kündigungsfrist um die noch nicht bezogenen Urlaubstage verlängert."
Die nachfolgenden Ausführungen sind nur relevant, wenn er Arbeitgeber gekündigt hat. Hat der Arbeitnehmer gekündigt, dann gilt Art. 335c Abs. 3 OR nicht.
Berechnung der Verlängerung der Kündigungsfrist
Es sind zwei Varianten der Berechnung der Verlängerung der Kündigungsfrist denkbar.
Variante 1
Es wird zuerst das Ende des Arbeitsverhältnisses berechnet, wie wenn es den Vaterschaftsurlaub nicht gäbe. Dann wird geschaut, wie viele Tage des Vaterschaftsurlaub an diesem letzten Tag noch nicht bezogen wurden und dann wird die Kündigungsfrist um diese Tage verlängert.
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Im Juni werden 7 Tage Vaterschaftsurlaub bezogen. Damit besteht am 30. Juni noch ein Anspruch auf auf 7 Tage Vaterschaftsurlaub und entsprechend verlängert sich die Kündigungsfrist auf den 7. Juli.
Quellen, die auf diese Berechnungsweise hinweisen:
- Merkblatt zum VATERSCHAFTSURLAUB / ADOPTIONSURLAUB des Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Basel-Stadt1
- Vaterschaftsurlaub: Rechtliche Aspekte in TREX 1-20212
Variante 2
Es wird bereits zum Kündigungszeitpunkt geprüft, wie viele Tage Vaterschaftsurlaub zum Kündigungszeitpunkt noch bestehen (oder danach noch dazukommen, weil das Kind erst danach geboren wurde).
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Es wird festgestellt, dass am 31. Mai noch 14 Kalendertage nicht bezogener Vaterschaftsurlaub besteht. Entsprechend wird die Kündigungsfrist um 14 Kalendertage auf den 14. Juli verlängert. Die 14 Tage Vaterschaftsurlaub könnten nun vom 3.- 16. Juni bezogen werden und das Arbeitsverhältnis würde dennoch erst am 14. Juli enden.
Quellen, die auf diese Berechnungsweise hinweisen:
- FAQ des SECO: Ich habe Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. Was passiert, wenn mein Arbeitgeber mir trotzdem kündigt? Unter welchen Bedingungen verlängert sich die Kündigungsfrist?3
Zwischenfazit
Die genaue Berechnungsweise ist unklar. Die Frage ist, wie das "Kündigt der Arbeitgeber" im Gesetzestext zu interpretieren ist. Soll es lediglich aussagen, wer kündigt oder legt es zugleich einen relevanten Zeitpunkt für die Berechnung der Verlängerung der Kündigungsfrist fest? Je nachdem gilt Variante 1 oder 2. Beides wären sinnvolle Auslegungen.
Es wird wohl ein Gerichtsurteil geben müssen, um Klarheit zu schaffen.
Die Tendenz geht jedoch in Richtung Variante 1.
Verlängerung bei Kündigungsfrist auf Ende Monat
Die meisten Arbeitsverträge haben eine Kündigungsfrist "auf Ende Monat". Bei diesen Arbeitsverträgen stellt sich eine weitere Frage zur Berechnung. Auch hier sind wieder mehrere Varianten möglich.
Diese Varianten sind nur bei Arbeitsverträgen mit Kündigungen "auf Ende Monat" relevant. Wurde explizit vereinbart, dass "ohne Ende Monat" gekündigt werden kann, dann erübrigt sich die Diskussion. Dann führt eine Kündigung am 15. Juni mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zu einem letzten Arbeitstag am 15. Juli. Die allermeisten Arbeitsverträge sind jedoch mit "auf Ende Monat".
Variante 1
Die Verlängerung der Kündigungsfrist führt nicht zusätzlich zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses auf Ende des Monates.
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Aufgrund eines nicht bezogenen Vaterschaftsurlaubes wird die Kündigungsfrist um 14 Tage verlängert. Die Kündigungsfrist endet am 14. Juli. Das Arbeitsverhältnis endet auch am 14. Juli. Dies weil diese Verlängerung auf Ende Monat bei Vaterschaftsurlaub nicht gelte. Das müsse anders betrachtet werden als z.B. Krankheit.
Variante 2
Die Verlängerung der Kündigungsfrist führt zusätzlich zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses auf Ende des Monates.
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Aufgrund eines nicht bezogenen Vaterschaftsurlaubes wird die Kündigungsfrist um 14 Tage verlängert. Die Kündigungsfrist endet am 14. Juli. Das Arbeitsverhältnis endet jedoch erst am 31. Juli. Damit verlängert sich das Arbeitsverhältnis auf Ende des Monates, wie es auch bei z.B. Krankheit der Fall wäre.
Zwischenfazit
Auch hier ist eine gerichtliche Klärung notwendig.
Die Tendenz geht jedoch in Richtung Variante 1.
Das Zusammenspiel mit Krankheit
Beispiel: Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Am 2.-3. Juni ist der Mitarbeiter krank. Daher wird die Kündigungsfrist für 2 Tage unterbrochen und endet neu am 2. Juli. Da im Arbeitsvertrag die Kündigung auf Ende Monat vereinbart ist, verlängert sich das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli. Erneute Krankheiten zwischen dem 3. bis 31. Juli haben keinen Einfluss auf das Ende des Arbeitsverhältnisses mehr, da die Kündigungsfrist bereits abgelaufen ist.
Das obere Beispiel ist die Standardberechnung für die Kündigungsfrist und den letzten Arbeitstag bei Krankheit. Diese Berechnungsweise ist durch Bundesgerichtsurteile gestützt.
Variante 1
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Am 2.-3. Juni ist der Mitarbeiter krank. Daher wird die Kündigungsfrist für 2 Tage unterbrochen und endet neu am 2. Juli. Da im Arbeitsvertrag die Kündigung auf Ende Monat vereinbart ist, verlängert sich das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli. Aufgrund eines nicht bezogenen Vaterschaftsurlaubes wird die Kündigungsfrist um 14 Tage verlängert. Damit endet die Kündigungsfrist nun am 16. Juli. Da dies immer noch früher ist als der 31. Juli, bleibt das Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. Juli.
Variante 2
Beispiel: Das Kind wird am 31. Mai geboren. Am 31. Mai wird auf den 30. Juni gekündigt. Am 2.-3. Juni ist der Mitarbeiter krank. Daher wird die Kündigungsfrist für 2 Tage unterbrochen und endet neu am 2. Juli. Da im Arbeitsvertrag die Kündigung auf Ende Monat vereinbart ist, verlängert sich das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli. Aufgrund eines nicht bezogenen Vaterschaftsurlaubes wird die Kündigungsfrist um 14 Tage verlängert. Als Ende der Kündigungsfrist wird nun aber der 31. Juli angesehen und nicht mehr der 2. Juli. Damit endet die auf diese Weise berechnete Kündigungsfrist nun am 14. August. Ob das Arbeitsverhältnis nun am 14. August endet oder am 31. August ist eine andere Frage, die oben bereits diskutiert wurde.
Zwischenfazit
Beim Zusammenspiel mit Krankheit verwendet Variante 1 dieselbe Logik von Kündigungsfristenberechnung für den Vaterschaftsurlaubes, wie es bereits für Krankheit durch das Bundesgericht gestützt wird. Variante 2 hingegen rechnet mit einer neuen Definition der Kündigungsfrist. Daher ist Variante 1 plausibler.
Ebenfalls für Variante 1 spricht, dass mit Variante 1 das Ziel erreicht wird, dass der Mitarbeiter seinen Vaterschaftsurlaub noch während des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Dazu braucht es die zusätzliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses in Variante 2 nicht.
Zusammenfassend, wird vermutlich Variante 1 durch die Gerichte angewendet werden.
Fazit
Es besteht rechtliche Unsicherheit, wie der Vaterschaftsurlaub bei Kündigung berechnet werden muss. Eine Klärung durch Gerichte wäre wünschenswert.
Bis dahin wird wohl der Arbeitgeber die jeweils für ihn bessere Variante wählen und es dem Mitarbeiter überlassen den Rechtsweg zu beschreiben, falls er anderer Meinung wäre.
Gibt es weitere gute Artikel zu diesem Thema? Gibt es bereits Gerichtsurteile? Bitte hinterlassen Sie einen Link dazu in den Kommentaren.
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